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26.11.2013

Jochem Wolff in Kaufungen

„Friede muss gewagt werden“
Vortrag von Jochem Wolff zum 9. November

Mit einem Überblick über die Ereignisse des 9. November als wichtigem Tag der Deutschen Geschichte begann Jochem Wolff seinen Vortrag über „Friedenskünder und Friedensbewegungen des 20. Jahrhunderts“ im Rathausfoyer. Er erinnerte an den Mauerfall 1989, an die Tage des Judenpogroms (1939), an den Putsch Hitlers (1923), an die Ausrufung der ersten deutschen Republik (1918) und an die Matrosen-, Soldaten- und Arbeiteraufstände, die der Republikgründung vorausgegangen waren.

Zeitgemäße Gedenkveranstaltung

Bürgermeister Arnim Roß reihte in seiner Begrüßung die Veranstaltung in das Erinnerungsprojekt „Krieg im Dorfleben – Dorfleben im Krieg“ ein. Er betonte das nachhaltige Engagement der Gemeinde in der Friedensarbeit und ihr Interesse andere, zeitgemäßere Formen der Erinnerung an Krieg und Gewaltherrschaft zu entwickeln und auszuprobieren. Als außergewöhnlicher kommunaler Beitrag zum Volkstrauertag sollte Jochem Wolffs Vortrag „Es wird nicht lange mehr dauern, und es wird Frieden sein!" gelten. Die Kabinettausstellung „Mit Gott für’s Vaterland – Kriegsdenkmäler um die Niederkaufunger Kirche“ – vom Regionalmuseum ins Rathausfoyer verlegt (bis 26.11.) – bildete den passenden Rahmen, denn sie analysiert ja die Geschichte der offiziellen, öffentlichen Kriegserinnerung in (Nieder-)Kaufungen von 1814 an.

Friedensinitiativen im 19. und 20. Jahrhundert

Eine andere Art des Gedenkens war also für diesen Abend im Foyer des Kaufunger Rathauses geplant: Wie bei seinen vorhergehenden Themenabenden im Kaufunger Museum, hatte der Germanist, Musikwissenschaftler, Dramaturg und Buchautor Jochem Wolff auch diesmal wieder zahlreiche Textauszüge und Tondokumente mitgebracht, beeindruckende, berührende und bewegende. Er schlug den Bogen vom langen 19. Jahrhundert (Beethoven, Verdi) ins Umbruchjahr 1913 (mit Verweis auf das gleichnamige Buch von Florian Illies), berichtete über mahnende Stimmen der Vorkriegszeit und den

deutschen Beitrag zum Weltkriegsausbruch. Ökonomie und Religion wurden als Beweggründe kriegerischer Handlungen immer wieder sichtbar (Konstantin Wecker: Waffenhändlertango) ebenso wie Konflikte in Zusammenhang mit der Kolonialpolitik der europäischen Industriestaaten. Wolff zitierte Beiträge von Schriftstellern und Musikern zur Kriegserinnerung und Friedensaufrufe aus der Zwischenkriegszeit: „Es gibt keinen Weg zum Frieden auf dem Weg der Sicherheit. Denn Friede muss gewagt werden“ (Dietrich Bonhoeffer  1934). Künstlerische Verarbeitungen des Kriegsgeschehens, Antikriegs- und Friedenslieder (Hanns Eisler, Reinhard Mey u.a. bis zum Dresdenrequiem des Thomanerchores),  Emanzipationsbewegungen in Indien (Gandhi), Südafrika (Mandela), Nordamerika (Black Power) wurden ebenso vorgestellt und erinnert, wie das Manifest der Wissenschaftler um Robert Jungk gegen einen Atombombenabwurf oder Albert Schweitzers die Blockpolitik übergreifender Friedensapell von 1955, das Engagement der Deutschen gegen die Wiederbewaffnung im selben Jahr, Beethovens Chorfantasie mit einem Text Johannes R. Bechers („Wo sich Völker frei entfalten / Und des Friedens Stimme spricht / muss sich Herrliches gestalten / Nacht und Träume werden Licht“) und die Großdemonstrationen der Friedensbewegung in den 1980ern (dazu u.a. Mikis Theodorakis‘ Vertonung von Pablo Nerudas „Canto General“ aber auch Nicoles europäischer Erfolgssong  „Ein bisschen Frieden“).

Versöhnung als Fundament des Friedens

„Versöhnung“ als zentrale gesellschaftliche Aufgabe (auch zuweilen scheiternde) kam anhand von Beispielen aus dem 20. Jahrhundert immer wieder zur Sprache, von der deutsch-französischen Annäherung nach dem II. Weltkrieg (eindrucksvoll: ein Tondokument zur Schenkung einer französischen Beethoven-Büste an die Bundeshauptstadt in den 1950ern) bis zu Daniel Barenboims Orchester aus palästinensischen und israelischen Musikern.

Die vielfältigen Einblicke in unsere Geschichte boten dem hochkonzentrierten Publikum eine Reihe von Erinnerungen aber auch überraschende (vor allem musikalische) Entdeckungen. Im lang anhaltenden Beifall erscholl der Ruf nach einer Zugabe, den Jochem Wolff, hier ganz Theatermann, selbstverständlich (mit einer heiteren politischen Anekdote über Guiseppe Verdi) erfüllte.

Dank an Martin Griesemer und Jörg Schlotzhauer für die aufwändige technische Realisation und an die vhs Region Kassel, mit der die Gemeinde die Veranstaltung bewährt professionell realisieren konnte.